Es ist wichtig, Sport und Politik zu trennen. Ein Boykott der
Euro 2012 in der Ukraine wäre kontraproduktiv und falsch. Zu diesem
Schluss kamen am Mittwoch Delegierte aus Politik, Wirtschaft und der
Zivilbevölkerung im Rahmen einer Konferenz in Berlin, bei der es um
den Weg der Ukraine in Richtung EU-Integration ging.
„Sport und Politik sollte man nicht vermischen“, sagte Dmytro
Spivak, Mitglied der sozialdemokratischen ukrainischen
Oppositionspartei Ukrainia Vpered. Ausserdem habe die Geschichte
gezeigt, dass man mit Boykotten „nichts bewirken kann.“ Ein möglicher
Boykott der Euro 2012 in der Ukraine „würde daher nicht der
Regierung, sondern vielmehr den Menschen und der Wirtschaft schaden.“
Ausserdem schlug er vor, alle Unstimmigkeiten zwischen den
Oppositionsparteien ruhen zu lassen, bis das Turnier vorüber ist.
Karl-Georg Wellmann, CDU-Bundestagsabgeordneter und Mitglied des
Auswärtigen Ausschusses, machte deutlich, dass jede weitere Isolation
das Land in die Arme Russlands treiben könne. „Es liegt nicht in
unserem Interesse, dass die Ukraine Teil des russischen Imperiums
wird“, sagte er und merkte an, dass man das Land als „einen
unabhängigen, von uns unterstützten europäischen Staat mit wachsendem
Reichtum und Wohlstand betrachten muss. Das Land gehört zum Westen
… die Ukraine ist Teil Europas und Kiew eine europäische
Hauptstadt.“
Die kürzlichen Äusserungen von Bundeskanzlerin Andrea Merkel, die
das autoritäre Weissrussland und die Ukraine kurzerhand in einen Topf
warf, nannte er einen „Versprecher“. Ausserdem wies er darauf hin,
dass „in Weissrussland im Gegensatz zur Ukraine eine Diktatur regiert
und die beiden Länder daher nicht vergleichbar sind.“
Rainer Lindner, Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen
Wirtschaft, unterstützt diese Haltung und bezeichnete Merkels
Äusserungen als „nicht richtig“. Ausserdem erklärte er, dass die
deutsche Wirtschaft „ihren Standpunkt nicht teilt.“
Wellmann äusserte sich auch zur Debatte rund um die ehemalige
ukrainische Premierministerin Julia Timoschenko, deren angebliche
Misshandlung in Gefangenschaft und darauffolgender Hungerstreik Rufe
nach einem Boykott laut werden liessen. „Für die Presse ist diese
Geschichte das Beste, was ihr passieren konnte“, so Wellmann. „Auf
der einen Seite der weisse, unschuldige Engel – und auf der anderen
Oligarchen und Stalinisten, die ihn foltern. Nur entspricht diese
Geschichte nicht den Tatsachen.“
Timoschenko kam im vergangenen Oktober ins Gefängnis und sitzt
derzeit eine 7-jährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs ab. Ihr wird
vorgeworfen, während ihrer Amtszeit als Premierministerin im Jahr
2009 einen umstrittenen Gasvertrag mit Russlands Staatsoberhaupt
Wladimir Putin unterzeichnet zu haben. Dieses Geschäft sorgte für
steigende Profite beim russischen Unternehmen Gazprom und resultierte
in überhöhten Gaspreisen, die in jüngsten Jahren beinahe das Ende der
Ukraine bedeutet hätten. Bis heute ist Putin ein grosser Fürsprecher
Timoschenkos.
Kost Bondarenko, Leiter des Instituts für ukrainische Politik,
erklärte, dass laut neuesten Umfragen nur 16 % der ukrainischen
Bevölkerung Timoschenko zugeneigt sind und 70 % ihr gegenüber eine
negative Grundhaltung vertreten. Ausserdem ging aus der Umfrage
hervor, dass 66 % der ukrainischen Bevölkerung der Meinung sind, sie
würde nicht politisch verfolgt, oder diesbezüglich überhaupt keine
Meinung haben.
Der ehemalige Präsident Leonid Krawtschuk lobte unterdessen die
positiven Entwicklungen in der Ukraine, darunter die jüngsten
Wahlreformen, die Parlamentsabgeordnete der Regierung und der
Opposition gemeinsam verabschiedeten. Die Reformen wurden auch von
der Venedig-Kommission des Europarats gelobt, die in
Verfassungsfragen als Beratungsorgan des Rats auftritt.
Auch hinsichtlich der grossen Bedeutung von offenen und fairen
Parlamentswahlen im kommenden Oktober waren sich die Teilnehmer
einig. Diese gelten nämlich als letzte Hürde vor der Unterzeichnung
eines Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union.
„Die Ukraine ist ein wesentlicher Teil Europas und das wird sich
auch nicht ändern“, so Krawtschuk.
Um seinen Standpunkt bezüglich des europäischen Charakters der
Ukraine sowie ihrer Bemühungen zu verdeutlichen, sich aus Russlands
Umklammerung zu befreien, erinnerte Ex-Präsident Krawtschuk an ein
Gespräch mit Michail Gorbatschow: „Gorbatschow hat mir einst gesagt,
dass es ohne die Ukraine keine Sowjetunion gäbe. Heute sieht man es
in Russland vielleicht eher so, dass es ohne die Ukraine keine
Eurasische Union geben wird.“
Pressekontakt:
Oleg Voloshyn (oavoloshyn@gmail.com; +380503165099).
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