Mängelliste offenbart: Marode Schienen bremsen die Bahn

Züge in Deutschland müssen aufgrund maroder
Gleisanlagen häufig langsamer fahren als eigentlich möglich. Allein
im Zeitraum zwischen Januar 2013 und Juli 2014 musste die Bahn
vorübergehend an 588 Stellen im Schienennetz die Geschwindigkeit
drosseln. Das geht aus einer noch unveröffentlichten Antwort des
Bundesverkehrsministeriums auf eine Kleine Anfrage der
Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hervor, die dem NDR
Politikmagazin „Panorama 3“ exklusiv vorliegt (Sendung: Dienstag, 4.
November, 21.15 Uhr, NDR Fernsehen).

Zum ersten Mal hat die Bahn eine solche Dokumentation der
mängelbedingten so genannten Langsamfahrstellen im bundesweiten
Schienennetz erstellt. Sie offenbart, wie massiv die Einschränkungen
für Bahnreisende durch Mängel in der Schienen-Infrastruktur sind.
Darunter fallen sowohl Brückenschäden als auch Probleme am so
genannten Oberbau wie Signalanlagen, Gleisen und Gleisbett.

In Norddeutschland waren vor allem Reisende in Niedersachsen von
Langsamfahrstellen betroffen. Hier mussten die Züge zwischen Januar
2013 und Juli 2014 an 76 Stellen die Geschwindigkeit drosseln. In
Mecklenburg-Vorpommern gab es 18 Langsamfahrstellen, in
Schleswig-Holstein 16, in Hamburg 13 und in Bremen 4. Besonders
problematisch war die Situation in Nordrhein-Westfalen mit 134
Langsamfahrstellen und in Bayern (113 Langsamfahrstellen). Gar keine
Langsamfahrstellen gab es im angegebenen Zeitraum nur im Saarland.

Zwar werden die meisten Langsamfahrstellen innerhalb einiger
Wochen oder Monate behoben, allerdings müssen die Lokführer an
manchen Gleisabschnitten auch jahrelang die Geschwindigkeit
reduzieren. So kann der Streckenabschnitt zwischen Denzlingen und
Waldkirch in Baden-Württemberg bereits seit 2005 nur mit 20 km/h
statt 80 km/h befahren werden. Ähnlich dramatisch sieht es auf der
Trasse Mittenwald-Scharnitz in Bayern aus. Seit nunmehr neun Jahren
sind dort auf einem Teilstück aufgrund von Signalmängeln statt 80
km/h nur 20 km/h erlaubt. Auf einem Teil der Strecke zwischen
Göttingen und Adelebsen in Niedersachsen war von März 2009 bis
Dezember 2013 die Geschwindigkeit von 60km/h auf 10 km/h reduziert.
Auch hier machten offenbar Signalanlagen Probleme.

14 Langsamfahrstellen wurden im abgefragten Zeitraum dauerhaft in
den Fahrplan aufgenommen. Bei einem Großteil dieser
Streckenabschnitte ist nicht klar, wann und ob sie überhaupt wieder
mit ursprünglicher Geschwindigkeit befahren werden dürfen.

Bahnchef Rüdiger Grube selbst hatte in jüngster Zeit darauf
hingewiesen, dass sich bei der Bahn unter anderem durch die hohe
Anzahl maroder Brücken ein Sanierungsstau von 30 Milliarden Euro
aufgebaut habe. Nach Angaben der Bahn sind alleine in Norddeutschland
116 Brücken so kaputt, dass sie neu gebaut werden müssen. Im gesamten
Bahnnetz seien fast 10.000 Brücken älter als 100 Jahre.

Matthias Gastel, der für die Grünen im Verkehrsausschuss des
Deutschen Bundestags sitzt, klagt gegenüber „Panorama 3“: „Dass wir
eine so hohe Anzahl an Langsamfahrstellen im deutschen Eisenbahnnetz
haben, zeigt, wie der Erhalt der Eisenbahninfrastruktur über Jahre
vernachlässigt wurde. Wir haben immer mehr Stellen, an denen die Züge
aufgrund von unzureichender Infrastrukturqualität langsam fahren
müssen. Fahrgäste sind länger unterwegs, als sie früher unterwegs
gewesen sind.“

Auch Bahnexperte Christian Böttger von der Hochschule für Technik
und Wirtschaft in Berlin moniert den wachsenden Verfall des
Schienennetzes: „Der Verdacht besteht schon aufgrund der Zahlen, dass
die Deutsche Bahn das Netz vernachlässigt. Wir sehen seit Jahren,
dass das Alter der Infrastruktur steigt. Wir sehen auf deren anderen
Seite, dass die Bahn hohe Gewinne ausweist. Den Vorwurf, den ich der
Bahn mache, ist, dass sie versucht, ihre Gewinne aus der
Eisenbahninfrastruktur zu maximieren, dass sie diese jedoch
weitgehend in andere, bahnferne Geschäfte investiert“, sagte Böttger
gegenüber „Panorama 3“.

Die Deutsche Bahn AG versteht sich als global agierender Logistik-
und Verkehrskonzern. Im Jahr 2010 hatte sie rund 2,7 Milliarden Euro
in die Übernahme des Arriva-Konzerns investiert. Arriva betreibt
unter anderem Buslinien in vielen europäischen Ländern.

Bahnsprecher Martin Walden wies die Vorwürfe gegenüber „Panorama
3″ zurück. „Die DB AG hat ihre Instandhaltungsaufwendungen in den
vergangenen Jahren kontinuierlich erhöht. Allein von 2009 bis 2013
flossen über 7 Milliarden Euro Eigenmittel der Bahn in die
Instandhaltung und damit deutlich mehr als in der aktuell noch
laufenden ersten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) mit
dem Bund vereinbart.“ Es liege im ureigensten Interesse der Bahn,
ihre Infrastruktur auf einem qualitativ guten Niveau zu halten.

Mehr zur Sendung finden Sie unter www.panorama.de

Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Iris Bents
Tel.: 040-4156-2304

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